Vortrag zum „Schwarze Kirche-Prozess“ in Mannheim. Das „verhängnisvolle“ Wort

Ein einziges Wort war dem Stadtpfarrer der Kronstädter Schwarzen Kirche, Dr. Konrad Möckel zum Verhängnis geworden. Währen des dreitägigen, als „Schwarze-Kirche“ bekannten Prozesses (November 1958) hatte ihn der vorsitzende Richter zur Rolle der Siebenbürger Sachsen und ihrer historischen Aufgabe in den vergangenen Jahrhunderten befragt. Freimütig hatte Dr. Möckel erklärt, dass es zum Selbstverständnis und zur Identität der Siebenbürger Sachsen gehörte, sich als Bollwerk zu verstehen, als Vorposten des Abendlandes gegenüber dem Osten, zum Schutze des Westens. Auf die darauffolgende Frage, welches – nach dem Verständnis Dr. Möckels – die Rolle der Siebenbürge Sachsen heute sei, antwortete er ohne zu zögern, mit der Standhaftigkeit eines Martin Luther, vielleicht auch ohne sich der Tragweite seiner Aussage bewusst zu sein, mit dem einzigen Wort: „Dieselbe“. Dieses Wort genügte, um Dr. Möckel des kontrarevolutionären Hochverrats an den Zielen der neuen Gesellschaft, die ja dem Osten verpflichtet war, zu überführen und die Todesstrafe zu begründen. Damit waren auch die 20 Jugendlichen verurteilt, die neben dem Hauptangeklagten Dr. Möckel auf der Anklagebank saßen, denn nun war der reaktionäre Einfluß erwiesen, den die Kirche – als Hauptfeind der neuen Gesellschaft – auf die Jugendlichen auszuüben vermochte. Als „Edelsachsen“ sind sie in die Geschichte eingegangen, wenngleich dieser Ausdruck nicht von ihnen stammte, sondern ihnen möglicherweise vom Geheimdienst angehängt wurde, um ihnen angeblich national-überhebliche Ziele anzudichten.

Karl Dendorfer (sitzend links), Hans Wester und Dr. Paul Hamsea (am Rednerpult).

Mit diesem „Schwarze-Kirche-Prozess“ beschäftigte sich der Vortrag eines der damals Angeklagten, des in Stuttgart lebenden Bankkaufmanns Karl Dendorfer, den er am 15. November im gut besetzten Festsaal des Rathauses Mannheim-Neckarau hielt. „Versuch einer Erklärung“ hat er seine Erinnerungen genannt, die er bereits 1992 niedergeschrieben hatte. Freilich sind durch die Öffnung des Securitate-Archivs inzwischen neue Erkenntnisse hinzugekommen. Mit seiner scharfsinnigen Analyse, die Dendorfer von den damaligen Vorgängen vornimmt, versucht er Licht in das Dunkel eines Unrechtsystems zu bringen, das darauf bedacht war Angst und Schrecken zu verbreiten, um so die Bestrebungen zu nationaler Selbstbehauptung der Minderheiten in Rumänien im Keim zu ersticken. Der „Schwarze-Kirche-Prozess“ war ja nur einer von vielen Prozessen, so der „Sankt-Annensee- oder Prejba-Prozess“, der „Schriftsteller-Prozess“ wie auch die Prozesse der ungarischen Minderheit, die in den 50-ger Jahren mit der gleichen Zielsetzung angezettelt wurden. Lüge, Terror, Willkür und Desinformation waren die wichtigsten strategischen Mittel der Securitate – so Dendorfer – um durch Konfusion, durch Verunsichrung und Einschüchterung ein menschenverachtendes Unterdrückungssystem durchzusetzen. Die Desinformation wirkt bis heute nach, denn nur wenige wissen, was wirklich damals geschah.
Willkürlich waren sie ausgewählt worden, die 20 Kronstädter Jugendlichen, die sich zum Teil gar nicht kannten, den 20 vorhandenen Stühlen auf der Anklagebank entsprechend. Es bedurfte keiner tatsächlichen Schuld, durch derartige Willkür sollte die ganze Bevölkerung in Schach gehalten werden. Vorgeworfen wurde diesen „Edelsachsen“, die sich um Horst Depner und Günter Volkmer gruppierten, sie „beabsichtigten, mit der nationalen Minderheit der Deutschen eine Festungsinsel der westlichen Kultur im Kampf gegen den internationalen Kommunismus zu schaffen“.

Das Eingreifen der Securitate zu diesem Zeitpunkt hat wohl zwei Gründe gehabt: einen gesellschaftspolitischen und einen national begründeten. Einerseits durften die wirtschaftlichen Misserfolge nicht dem System angelastet werden. Die Schuld musste bei Saboteuren des Klassenfeindes gefunden werden, und diese mussten notfalls ge- oder auch erfunden werden. Andererseits befürchteten die rumänischen Machthaber nach dem missglückten ungarischen Volksaufstand von 1956 ähnliche Entwicklungen im eigenen Land, die man rechtzeitig zu unterbinden suchte. So kam der Securitate die Situation in Kronstadt gerade recht: die Existenz deutscher Jugendgruppen um Horst Depner und Günter Volkmer, die sich als „Debattierclubs“ verstanden, in denen das Zeitgeschehen zwar intensiv, aber ohne jegliche umstürzlerische Intentionen debattiert wurde. Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel wurde dessen engagierter Einsatz – bei der damaligen Landflucht – die abdriftende Jugend wieder stärker an die Kirche zu binden angelastet. Zwischen Dr. Möckel und den Jugendgruppen wurde eine konspirative Verbindung konstruiert und der grundanständige Stadtpfarrer zum geistigen Mentor der Jugendgruppen und Hauptvertreter reaktionärer Umtriebe und somit zum Hauptangeklagten hochstilisiert.

Für Dendorfers Angklage und lebenslängliche Verurteilung genügte der Besitz und die Weitergabe westlicher Zeitschriften, sowie der Kontakt zu dem westdeutschen Studenten Heinz Hahn, der von der Securitate zum antiimperialistischen Spion und Agenten aufgebaut wurde. Weitere Zufälligkeiten, wie der argwöhnisch beobachtete Besuch des Präsidenten vom westdeutschen Roten Kreuz, Dr. Heinrich Weitz in Bukarest, oder das Erscheinen von Eginald Schlattners Roman „Gediegenes Erz“ verschärften die angespannte Atmosphäre im damaligen Rumänien.

Dendorfer versucht das Geschehen in die großen geschichtlichen Zusammnenhänge der Kriegs- und Nachkriegszeit einzuordnen. Er sinniert über Opfer und Täter, über Schuld und Mitschuld und versucht der Wahrheit auf den Grund zu gelangen. Aber was ist Wahrheit, fragt er. Es gibt deren immer mehrere: die Wahrheit der Securitate, die des Gerichts, die der Betroffenen und Angehörigen und die der meist desinformierten gesellschaftlichen Wahrnehmung und, und. Wird sich die wahre Wahrheit jemals finden lassen? Nach Öffnen des Securitate-Archivs hatte Dendorfer die Möglichkeit eine 4.000 Seiten umfassende Akte einzusehen. Aber nicht nur sein stark beeinträchtigtes Sehvermögen – wohl auch eine Folge der langjährigen Kerkerhaft – hinderte ihn daran. Er sah sich auch physisch und psychisch außer Stande erneut in diesen Sumpf menschlicher Grausamkeit einzusteigen, so wie er auch nicht in der Lage war über die Tortur des Verhörs mit lebenslänglicher Verurteilung, über das Zermürbende der Einzelhaft und der anschließenden Gefängniszeit zu sprechen. Das Grauen einer solchen Erfahrung lasse sich ohnehin nicht in Worte fassen. Und dennoch haben gerade die Gefängnisjahre ihm auch wertvolle Erfahrungen eingebracht, denn hier, in den Gefängnissen von Kronstadt und Zeiden, von Jilava, Pitesti, Dej oder Gherla saß die geistige Elite Rumäniens, Ungarn, Sachsen wie auch Rumänen, die hochinteressante Gesprächspartner waren. Erst die anschließende Gesprächsrunde animierte Dendorfer auch hierüber Einzelheiten preiszugeben. Dass das spätere Leben in der BRD ihm, der 1962 begnadigt und dann 1966 vom Westen abgekauft wurde letztlich doch gnädig gesinnt war und ihn für die erlittene Schmach reichlich entschädigte, dafür zeigte sich Dendorfer dankbar, wie auch für die Tatsache, dass er den Zusammenbruch dieses verbrecherischen Systems miterleben durfte.

Applaus gab es auch für die beiden „Vorleser“, die für den stark sehbehinderten Autor in die Bresche gesprungen waren. Hans Wester der vormalige Vorsitzende der Mannheimer Kreisgruppe hatte den ersten Teil übernommen und Dr. Paul Hamsea den ebenso spannenden zweiten Teil des Vortrags. Wenn sich die Angeklagten damals wie Marionetten eines undurchschaubaren Schachspiels vorkamen, so bildete das Ambiente des Rathaus-Festsaals mit einer niedlichen Puppenaustellung einen reizvollen Kontrast zu dem grauenhaften Zeitgeschehen. Hier in Mannheim-Neckarau wurden seit 1873 die berühmten „Schildkröt“-Puppen als erste Celluloid-Puppen hergestellt. Im Anschluß hatte man Gelegenheit die vom Ehepaar Wester und weiteren Mitgliedern der Kreisgruppe liebevoll eingerichtete Siebenbürgische Heimatstube im oberen Stockwerk des Rathauses zu besichtigen. Ein versönlicher Ausklang nach dem Eintauchen in dunkles Zeitgeschehen, das nicht nur durch das Werk der Nobelpreisträgerin Herta Müller immer mehr von seiner schändlichen Fratze herzeigt und sich verstärkt einer größeren Aufmerksamkeit erschließt. Auch die Geschichtsforschung scheint sich nun vermehrt der damaligen Geschehnisse annehmen zu wollen, denn der Archivar der Schwarzen Kirche, Dr. Thomas Şindilariu beabsichtigt ein Buch zu diesem Prozess zu schreiben. Man kann gespannt sein.

Prof. Heinz Acker, Heidelberg