Entdeckungen in Osteuropa könnten wir unsere Sieben-Tage-Reise nennen. Nachdem wir vor drei Jahren Nordpolen/Ostpreußen mit Stettin, Danzig, den Masuren, Thorn und Posen bereist haben, hatten wir diesmal Gelegenheit etwas von Südpolen/Schlesien mit seinen pulsierenden Metropolen, barocken Altstädten, reizvollen Flusslandschaften und stolzen Bergen kennen zu lernen.
Vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ konnte man Polen als exotisches Reiseziel betrachten. Erst Anfang der 1990er Jahre gab es die Chance einer guten Nachbarschaft und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen (Vertrag vom 17. Juni 1991). An einer positiven Entwicklung in diese Richtung war der 1993 gegründete Verein zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur e.V. (VSK) wesentlich beteiligt. Von den Früchten dieser Entwicklung konnten wir uns während unserer Reise öfter mal überzeugen.
Unser erstes Ziel am 21.Juli 2008 ist Breslau, auch heute die Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien. Der erste Eindruck – die bezaubernde, teils gotische, teils barocke Altstadt im abendlichen Lichterglanz – wird am nächsten Tag durch eine Stadtführung vertieft. Die während des zweiten Weltkriegs fast völlig zerstörte Metropole an der Oder (in Breslau gibt es übrigens 120 Brücken) erstrahlt in neuem alten Glanz: das alte Rathaus umgeben vom sog. „Ring“ mit seinen farbenfrohen Häuserfassaden, die kleinere Sandinsel und schließlich die Dominsel mit ihren fünf verschiedenen Kirchen. Ein Besuch der Aula Leopoldina in der 1702 gegründeten Breslauer Universität ist ebenfalls ein Muss.
Mit Bedauern geht es schon nach der Mittagspause weiter nach Osten, Richtung Kleinpolen. Krakau, Polens „heimliche Hauptstadt“ ist unser nächstes Ziel. Wenn auch in einer ganz anderen Art bietet diese tausendjährige Stadt an der Weichsel eine grandiose historische Kulisse. Dominiert wird Krakau vom Wawel-Hügel mit Königsschloss und Kathedrale – dem Wahrzeichen der Stadt. Von da führt der sog. Königsweg vorbei an Renaissance- und Barockbauten zu dem Marktplatz – mit seinen 4 ha der größte Polens, wie Aleksandra, unsere Reiseleiterin stolz berichtet. Hier stehen auch die berühmten Krakauer Tuchhallen mit ihren markanten Spitzbogenarkaden im Erdgeschoss. Krakau überstand den Zweiten Weltkrieg nahezu unzerstört, sodass es die einzige große polnische Stadt ist, die originale mittelalterliche Bausubstanz besitzt. 1978 zeichnete die UNESCO die sorgfältig bewahrte Altstadt als Weltkulturerbe aus.
Am nächsten Tag unternehmen wir von Krakau aus einen spannenden Ausflug in die Unterwelt. Zwei Stunden dauert eine geführte Wanderung in über 130 m Tiefe im nahegelegenen Salzbergwerk Wieliczka (übrigens ebenfalls Weltkulturerbe der UNESCO). Es geht durch Stollen und Kammern, vorbei an aus Salz gehauenen Skulpturen, Salzseen, Wänden aus bizarr geformten Salzkristallen und sogar durch eine mit Salzreliefs ausgeschmückte Höhlenkapelle. Und nun wenden wir uns schon wieder westwärts, zurück nach Schlesien mit einem kurzen Abstecher in das ebenfalls an der Oder gelegene Oppeln.
Auch hier gibt es einen von barocken Fassaden umgebenen Ring in dessen Mitte das Rathaus steht. An den Bürgerhäusern sieht man oft seitlich runde Erker, typisch für die Stadt, daher auch „Oppelner Erker“ genannt. Ein besonderes Erlebnis auf der Weiterfahrt ist der Besuch der Schweidnitzer Friedenskirche zur Heiligen Dreifaltigkeit. Dabei erfahren wir Folgendes: nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, unter dem Druck der Schweden, durften die protestantischen Bürger (sie waren im katholischen Polen seit jeher in der Minderheit) unter bestimmten Bedingungen eigene Kirchen bauen. So entstanden große Fachwerkbauten mit mehrgeschossigen Emporen und aufwendiger barocker Innenausstattung – sog. Friedenskirchen, von denen bis heute noch zwei erhalten sind.
Das Riesengebirge, die Heimat Rübezahls, ist nicht mehr weit und bald beziehen wir unser letztes Quartier in Krummhübel, einem beliebten Fremdenverkehrsort am Fuße der Berge. Südlich der Ortschaft ragt die 1602 m hohe Schneekoppe auf, die höchste Spitze des unter Schutz gestellten Nationalparks. Ein Erwandern der Berge ist zwar nicht vorgesehen, aber ein kurzer Spaziergang bergauf zur sog. Wang-Kirche ist für uns in jedem Fall lohnenswert. Eine skandinavische Stabkirche in Polen? Tatsächlich, die im 12. Jh. im norwegischen Ort Wang errichtete Holzkirche fand im 19. Jh. in Krummhübel eine neue Heimat und zieht seither durch ihre Besonderheit unzählige Besucher an.
Den letzten Tag unserer Reise verbringen wir bei strahlendem Sonnenschein in der Umgebung des Riesengebirges – letzte Gelegenheit noch einige bemerkenswerte Orte aufzusuchen. Da ist z. B. Hirschberg dessen ausgesprochen hübsche barocke Altstadt im Zweiten Weltkrieg von größeren Zerstörungen verschont blieb. Inmitten des zentralen Marktplatzes erhebt sich wieder das Rathaus (von 1747), davor der Neptunbrunnen und ringsum schmucke Bürgerhäuser mit mächtigen Arkaden. Im Osten außerhalb der Stadtmauern bauten die Protestanten Anfang des 18. Jh. Die Heiligkreuz-Kirche, eine der wenigen von den Habsburgern genehmigten „Gnadenkirchen“. Hirschberg erlebte seine Blüte bis ins 19. Jh. als Tuchmacherstadt – die Schlesischen Weber wurden von dem aus der Gegend stammenden Gerhard Hauptmann im Drama „Die Weber“ literarisch verewigt. Ein Besuch der Villa Wiesenstein in Agnetendorf – eine Gedenkstätte für den Nobelpreisträger für Literatur bietet sich hier selbstredend an. Gerhard Hauptmann lebte 45 Jahre (bis zu seinem Tod) in der Villa; heute ist es nicht nur ein Museum, sondern auch eine Begegnungsstätte für Literaten und Künstler.
Nach einem kurzen Abstecher in Rübezahls Welt – am Fuße des Isergebirges sprudelt der Kochelfall – geht es am nächsten Morgen, dem 27. Juli, zurück Richtung Heimat. Wir haben noch eine lange Busfahrt vor uns – da kann man schon mal beginnen die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten
von Renate König